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Schaffhauser Mappe 2001-069

Bibliografische Daten

fullscreen: Schaffhauser Mappe 2001-069

Strukturtyp:
Brief
Sammlung:
Gleimhaus Halberstadt
URN:
urn:nbn:de:gbv:601-69377
Autor:
Müller, Johannes
Titel:
Brief von Johannes Müller an Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Beteiligte Personen:
Müller, Johannes
Band, Heft, Nummer:
6
Publikationsort:
Berlin
Veröffentlichungsjahr:
1780
Größe der Vorlage:
e. 1 Doppelbl. u. 1 Bl. 8°

Signatur:
Hs. A 2815
Persistente Url:
https://www.digishelf.de/piresolver?id=676568548

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

  • Schaffhauser Mappe
  • Schaffhauser Mappe 2001-069

Volltext

Marcel Wenger, Stadtpräsident 
Aus dem Notizbuch 
des Stadtpräsidenten 
Regieren im «beschleunigten» Schaffhausen 
Mehr als andere Städte lebte Schaffhausen 
bisher in einer industriell geprägten Gesell 
schaft. Die Metallbearbeitung, die Elektro 
mechanik und später die Elektronik prägten 
unsere wirtschaftliche Welt. Die Wende kam 
rasch, kündigte sich in den 80er Jahren an 
und liess uns in den 90er Jahren mehr als 
10% unserer Arbeitsplätze verlieren. Und das 
war nur der Anfang eines Wandels, der bis 
heute anhält und sich ständig vertieft. Dabei 
sind nicht nur weltweit zusammengeschlos 
sene Märkte das prägende Element. Auch die 
elektronische Beschleunigung und die mo 
dernen Kommunikationsmittel spielen eine 
immer wichtigere Rolle. Es ist möglich, 
jederzeit und für alle mit einem Internet- 
Anschluss erreichbar zu sein. Viele bisher 
nicht zusammengeschlossenen technischen 
Hilfsmittel können vernetzt werden. Mit 
Lichtgeschwindigkeit werden Pläne, chemi 
sche Formeln, Reaktionsprozesse oder medi 
zinische Erkenntnisse rund um den Globus 
verschoben, spielen sich innert Mikrosekun 
den Börsentransaktionen in schwindeler 
regender Höhe ab. Durch die explosiv ange 
wachsene Informationsmenge wird es für 
den Einzelnen immer schwerer, sich zurecht 
zu finden. Führungskräfte in Wirtschaft, Ge 
sellschaft und Politik benötigen mehr Zeit, 
sich den Überblick über die Informations 
lawine zu verschaffen, die täglich auf sie zu 
rollt. Die elektronische Post, das Faxgerät, 
die Medien Radio, Fernsehen und das Infor 
mationsangebot im Internet produzieren was 
das Zeug hält. Immer mehr Menschen wer 
den durch ein System der blitzschnellen 
Kommunikation von Punkt zu Punkt einge 
bunden, und das Ganze führt zu einer massi 
ven Beschleunigung aller Vorgänge deren 
Grundlage das Wissen ist. Dies sind ausser 
einigen zwar bedeutenden vegetativen Pro 
zessen im menschlichen Körper und in der 
Natur alle, die mit unserem bewussten Han 
deln zu tun haben. Wenn das keine Revolu 
tion ist, die sich da abspielt! 
Und die Politik? Sie beginnt, sich der neuen 
Techniken zu bedienen, aber sie hängt an den 
alten Strukturen. Auch in den Büros der 
Stadt- und Regierungsräte stehen Personal 
computer, speien Drucker elektronisch über 
mittelte Botschaften aus und läuten neben 
den klassischen Telephonen gar die omniprä- 
senten Handys. Wer eine Papieragenda führt, 
gilt als leicht angegraut, während das Herum- 
tüpfeln auf dem Palm-Organizer elektroni 
sche Kompetenz verrät. Ganz coole Zeitge 
nossen laden sich schon mal zu politischen 
Themen Artikel aus dem Internet herunter, 
verpacken sie in ein E-Mail und bombardie 
ren damit ihre Entourage. Entweder man 
«mailt» oder man wird «zugemailt». Aber: 
auch ihre Kompetenz zerschellt an der einen 
oder anderen Detailposition im Budget oder 
schlicht an einer unwilligen Spezialkommis 
sion des Parlaments. Denn da sitzen Leute, 
die - ebenfalls kraft digitaler Vernetzung - 
alles längst besser wissen. Wann werden das 
erste Referendum oder die erste Volksinitia 
tive auf elektronischem Weg Zustandekom 
men? Wir sollten uns darauf vorbereiten, dass 
dies schnell der Fall sein wird. Die Volks 
rechte der Petition oder das in der neuen Ver 
fassung vorgesehene Recht der «Volksmo 
tion» könnten für Politik und Verwaltung zu 
neuen Herausforderungen führen, denn die 
Bürgerinnen und Bürger mit Internet-An 
schluss sind wie nie zuvor in der Geschichte 
miteinander vernetzt, sei es als Mitglieder 
einer Partei oder eines Verbandes. Übrigens: 
Für die Einreichung einer Volksmotion ge 
mäss neuer Kantonsverfassung würden le 
diglich 100 Unterschriften benötigt. Sind un 
sere Verfassung und die Gesetze auf die neue 
elektronische Herausforderung vorbereitet? 
Ich denke, dass wir uns darüber Illusionen 
machen. 
Die Beschleunigung in der digitalen Wirt 
schaft verlangt auch neue Formen des politi 
schen Interessenausgleichs. Und sie verlangt 
vor allem raschere Entscheidungen. Ob wir 
dies mit einer Verwaltung und einem poli 
tischen Apparat, die weitgehend aus dem 
19. Jahrhundert stammen, bewerkstelligen 
können, ist mehr als fraglich. Und ob ra 
schere Entscheidungen zur Qualität beitra 
gen, ist ebenso fraglich. 
Zwei Jahre war das Projekt zur Reorganisa 
tion des Baureferates unterwegs, bevor es an 
der mangelnden Stellenkompetenz des Stadt 
rates scheiterte. Drei Jahre schon leiden wir 
an zu vielen Aufgaben des Stadtschulrates 
und an Entschädigungen, die pro aufge 
wendete Stunde noch nicht einmal eine 
Zwanzigernote ausmachen. Wollen wir so ins 
21. Jahrhundert? Ist es Zufall, dass uns aus 
gerechnet die 1,2 Millionen Franken für die 
Beschaffung der Computer bei den Orientie 
rungsschulen fehlen, wir aber ein Mehrfa 
ches für die sozialen Kosten nicht vermittel 
barer Arbeitsloser ausgeben müssen? Wir 
haben die Bildungspolitik zu lange sich sel 
ber überlassen. Zu viele Experimentatoren, 
Mediatoren und Supervisoren schwirren um 
die Lehrer herum. Neben den zentralen Auf 
gaben der Bildung sind immer mehr Erzie 
hungsaufgaben bei der Schule gelandet. Nun 
sollen die Lehrer auch noch Administrations 
und Führungsaufgaben delegiert erhalten, 
weil wir offenbar weder willens noch ent 
schlossen dazu sind, ihnen durch eine Ver 
stärkung der Schulverwaltung wenigstens 
jene Lasten abzunehmen, die nicht zum 
pädagogischen «Kerngeschäft» gehören. Auf 
eben dieses konzentrieren sich in der Wirt 
schaft selbst grosse Unternehmen, während 
die Lehrer möglicherweise bald einmal ihre 
eigenen Unternehmen werden führen müssen 
als Folge staatlicher Bildungsignoranz. Hätte 
man Pestalozzi gefragt, ob er es wohl richtig 
fände, die Völksschullehrer zu Managern 
auszubilden, würde er mit Sicherheit einen 
Berufswechsel empfohlen haben. Nicht nur 
für den Lehrer, sondern auch für den Rat 
geber. Unsere staatliche Gemeinschaft ist 
hier gefordert. Wir brauchen wieder eine zu 
sammenhängende und starke Schulpolitik. 
Dazu aber benötigen wir Zeit und eine ge 
sunde Distanz zu vorschnellen Lösungen. 
Letztlich gehören Schul- und Kulturpolitik 
zusammen. Sie beschäftigen Schaffhausen 
im zu Ende gehenden Jahr 2000 besonders, 
weil wir neben einer klaren Standortbestim 
mung auch ein eigenständiges Profil in einer 
immer beliebigeren Welt brauchen. «Schaff 
hausen ist eine Kulturstadt», hört man dazu 
immer wieder. Wer nachfragt, erhält Antwor 
ten, die längst nichts mehr mit der Realität zu 
tun haben. Bringolfs Ausstellungen waren 
grossartig, aber sie sind endgültig und unwie 
derbringlich vorbei. Eine Neuauflage solcher 
Grossanlässe ist für Schaffhausen nicht mehr 
finanzierbar. Ganz abgesehen von der Kon 
kurrenz, die sich seither vervielfacht hat. Die 
kulturelle Welt dreht sich auch bei uns immer 
schneller. Das kulturelle Angebot ist so reich 
haltig wie noch nie. Praktisch jeder grössere 
Bergkurort hat heutzutage sein Festival klas 
sischer Musik. Die Zahl der Museen in unse 
rem Land ist in den letzten zehn Jahren um 
mehrere hundert Prozent nach oben ge 
schnellt. Wer will, kann grosses Theater, 
Konzerte und Ausstellungen mit modernster 
Infrastruktur in den Zentren Zürich, Basel 
und Luzern besuchen. Das kulturelle Weltge 
schehen ist näher gerückt. Schaffhausen kann 
sich nur profilieren mit seinem eigenständi 
gen und historisch gewachsenen Stadtkern, 
der Raum bietet für Kulturerlebnisse, die 
nicht notwendigerweise mit teuren, grossen 
Namen im Zusammenhang stehen. Wir sind 
ideal für Spezialitäten, Eigengewächs, mit 
dem Erleben der Schaffhauser Altstadt und 
ihren einmalig schönen Kulturräumen ver 
bunden. Im Karussell der sich schnell und 
schneller drehenden kulturellen Grossanlässe 
in der Schweiz tut uns eine gewisse «Ent- 
schleunigung» gut. Die Arbeit des Kultur 
rates soll dem Stadtrat zeigen, wo die kultu 
rellen Stärken Schaffhausens liegen und wie 
sie am besten im veränderten Umfeld genutzt 
werden können. Der Wille, eine Art «Kultur- 
Strategie» für Schaffhausen zu entwickeln, 
hat nicht nur positive Reaktionen ausgelöst. 
Aber die Alternative dazu ist eben jene Belie 
bigkeit, die das digitale Zeitalter charakteri 
siert und uns gelegentlich alle ziemlich müde 
macht. Wer das «beschleunigte Schaffhau 
sen» über das Jahr 2000 hinaus regieren will, 
der muss - so bin ich überzeugt - seine Stra 
tegie gut wählen. Dafür braucht er Zeit, in 
einer Zeit, wo offenbar immer weniger davon 
zur Verfügung steht. Der Widerstand gegen 
die Beschleunigung ist manchmal Pflicht, 
wenn es ums Regieren geht! Ich wünsche 
allen Leserinnen und Lesern der Schaffhau 
ser Mappe ein gutes neues Jahr. 
7
	        

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