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Hegauer Erzähler, Jg. 1910 (70 [69])

Bibliografische Daten

fullscreen: Hegauer Erzähler, Jg. 1910 (70 [69])

Strukturtyp:
Zeitschrift
Sammlung:
Archive im Landkreis Konstanz
Titel:
Hegauer Erzähler
Publikationsort:
Engen
Verlag:
Theophil Schneider's Buchdruckerei

Physikalischer Standort:
Verbundzentrale des GBV (VZG), Göttingen
Persistente Url:
https://www.digishelf.de/piresolver?id=3066108-0
Strukturtyp:
Zeitschriftenband
Sammlung:
Archive im Landkreis Konstanz
Titel:
Hegauer Erzähler, Jg. 1910
Band, Heft, Nummer:
70 [69]
Publikationsort:
Engen
Veröffentlichungsjahr:
1910
Verlag:
Danubia AG
Größe der Vorlage:
33,9 x 45,8 cm

Physikalischer Standort:
Verbundzentrale des GBV (VZG), Göttingen
Persistente Url:
https://www.digishelf.de/piresolver?id=3066108-0_1910

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

  • Hegauer Erzähler
  • Hegauer Erzähler, Jg. 1910 (70 [69])

Volltext

m 99 —0 29099 s ule 
Verlag des amtlichen Verkündigungsblattes für den Amtsbezirk Engen 
Hegauer Volks-Blatt — 70. Jahrgang. Viel gelesene Tageszeitung 
Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn⸗ und Feiertage 
Gralis Weilagen 
Amtliches Verkündigungsblatt für den Bezirk Engen jeden Mittwoch und Samstag 
Juͤustriertes Unterhaltungsblatt jeden Samstag 
Fahrplanbuch für den Sommer⸗- und Winterkurs 
Januar 8e 
— 55 
—— — ⸗ 
* 
—55 
E 
Bezugspreis vierteljährlich: 
Bei der Expedition. . . . Mt. 1.20 
Bei der Post. 1250 
ohne Trägerlohn oder Zustellungsgebühr 
—A——C——— —rr———,——— 
Einrückungsgebühr: 
Anzeigen die sechsspaltige Petitzeile oder deren 
Raum 10 Pig. Reklamen 20 Pfg. 
Bei größeren Aufträgen Rabatt 
NM 1 — Redaktionsschluß: 
2 9u/2 Unr vormittags. 
I910. 
Brauch zur Hausreinigung nicht nach dem ähnliches zur Grundlage. Für die vor— 
Besen greifen, da man sonst das Glück nehme Welt stellten sogar nahmhafte 
hinausfegt. Beim ersten Morgengrauen Künstler Neujahrskarten her, und man 
holt man aus dem Hausbrunnen Wasser findet Zeichnungen von Fragonard und 
uͤnd trinkt es — das gilt als heilbringend. Choffard unter ihnen. Choffard schein so— 
Zur Feier gehört unbedingt ein Reiskuchen, gar Specialist für Neujahrskarten gewesen 
der in Form und Farbe efwa einem großen zu sein. Die Künstlerkarten, wie wir sie 
Z„chweizerkäse ähnest jetzt nennen würden, waren den gewöhn— 
lichen Karten natürlich weit überlegen; beim 
Ausbruch der französischen Revolution 
aber verschwand die Neujahrskarte mit einem 
Schlage. Natürlich ist sie später wieder 
neu erstanden und in Frankreich wieder 
stärker verbreitet als bei uns. Aber auch 
in Deutschland haben namhafte Künstler, 
wie Hans v. Volkmann, Georgie, Kamp⸗ 
mann und andere, sich der Glückswunsch— 
karte angenommen und hübsche Blätter ge⸗— 
zeichnet. 
Krisengerüchte in Baden? 
Auf der kuͤrzlich in der badischen Residenz 
bgehaltenen nationalliberalen Landes⸗ 
onferenz beteuerte der Vorsitzende, was 
ich seinerzeit im liberalen Lager vollzogen, 
ilso das Großblockbündnis, sei ein 
eit Jahren geplantes, jetzt konsequent 
urchgeführtes Unternehmen. Das ist ja 
echt interessant. Da draͤngt sich aber sofort 
ie Frage auf: wie verhält sich dann zu 
iesem langjährigen Plan die zum letzten 
Vahlkampf vom Führer des Blocks, Herrn 
Ibkircher, ausgegebene Parole: zwei Fron⸗ 
en? nach rechts und nach links? Wie 
sst das auffallende Sträuben der Herren 
nit Glacé und Zylinder gegen die brutale 
Weltanschauung der Sozialdemokratie? Der 
Plan zum Großblock bestand demnach schon, 
ils Herr Obkircher seine Theorien aufstellte, 
bwohl er vier Jahre vorher bei jenen vier 
herren war, die in einer Droschke beim 
Sozialdemokraten Dreesbach vorfuhren, um 
hn gegen harte Bedingungen um Hilfe 
inzuflehen. 
Da der Großblock gelungen ist, will 
nan ihn nicht auf einen Zufall zurück— 
führen, auch ihn nicht als Augenblickser— 
folg gelten lassen, sondern man will ihn 
auf die politische Intelligenz zurückführen 
die seit vielen Jahren abhanden gekommen 
ist, und an die schon lange niemand mehr 
glaubt. 
Einig sind die Großblockleute in Baden, 
das muß man ihnen lassen, aber die 
Einigkeit hat noch keine Belastungsprobe 
bestanden. Bis jetzt war die Haupttätigkeit 
im Landtag auf die Kommissionsarbeit be— 
schränkt, wichtige Plenarverhandlungen gab 
— 
Wera jetzt ein prachtvoll gearbeitetes matt 
Joldenes Etui vom Tisch nahm und ihrem 
Nachbar bot, der, mit einem fragenden 
Blick auf die Mutter, zögernd zugriff. 
„Der Rauch kann Mama nicht belästigen“, 
sagte Wera, sich, die brennende Cigarrette 
n der Hand, langsam in ihren Schaukelstuhl 
zurücksinken lassend, „man sitzt ja hier so 
zut, wie im Freien, der Abendwind nimmt 
illen Dampf mit fort!“ 
„Den Rauch würde ich lieber ertragen, 
als den Anblick“, entgegnete Frau Marianne, 
„zu rauchen ist nur den Männern erlaubt, 
für eine junge Dame schickt es sich nicht 
und bei uns in Deutschland ist es vollends 
gar nicht Sitte!“ 
„Dagegen bei uns in Rußland! — Und 
hier bin ich ja zu Hause, in meinem lieben 
Glückshafen! Hier bin ich Mensch, — hier 
darf ich's sein!“ — Sie stieß leise mit der 
Spitze ihres Füßchens gegen den Boden, 
daß der Stuhl wieder in eine schwingende 
Bewegung kam und blies ein Paar blaue 
Rauchringe durch ihre kirschroten Lippen. — 
„Josua“, begann der Oberst jetzt, um 
das schon unzählige Male erörterte, hoff— 
nungslose Thema abzuschneiden, „ist Dein 
Herr Ilgenstein eingetroffen? 
3 Rei rademarsch der Ehrenkompagnie und der 
Neuiahrsfeier in der Reichs gdemarschudern 
hauptstadt. —n der Fruͤhstückstafel beim Kaiser 
Mit dem anbrechenden Tag, als die und der Kaiserin nahmen außer den im 
Kaiser⸗ und die Königsstandarte und die Schlosse wohnenden Prinzen-Söhnen und 
Kurbrandenburgische Flagge auf den Zinnen der Prinzessin Viktoria Luise Herzog Albrecht 
des königl. Schlosses emporstiegen, fand sich von Württemberg, Prinz Ruppert vor 
eine gewaltige Menge Schaulustiger im Bayern und das Gefolge teil. Nach 
Lustgarten und beim Kaiser Wilhelmdenk. nittags fuhr der Kaiser bei den Botschaf 
mal ein, die bis zu Beginn des großen tern vor. 
Werdens auf 12-13000 Personen an— 
schwoll. Die Reveille wurde von den 
Spielleuten der 2. Gardeinfanterie-Brigarde 
und der Kapelle der Gardefüsiliere ausge— 
führt, während die Trompeter der Garde—⸗ 
kürasfiere von der Galerie der Schloßkuppel 
bliesen. Kurz nach 8 Uhr traf auf dem 
Anhalter Bahnhof Prinz Ruppert von 
Bayern ein und fuhr zum Schloß. Der 
Kausor traf bald nach ) Uhr vom neuen 
Palais her im Automobil ein, die 
Kaiserin gegen 410 Uhr mit Sonderzug 
auf dem · Potsdamer Bahnhof, von wo sie 
im Galawagen sich nach dem Schlosse be— 
gab. 
Um 10 Uhr begann in der Schloßkapelle 
der feierlich Gottesdienst, an dem 
außer den Majestäten der Reichskanzler, 
die Bundesratsbevollmächtigten, die Generali⸗ 
tät und die Admiralität, die Ritter des 
schwarzen Adlerordens, die Kommandeure 
der Leibregimenter, die Staatsminister, die 
Präsidien des Reichstages und beider Häu⸗ 
ser des Landtages teilnahmen. 
In feierlichem Zuge begab sich sodann 
der Hof nach dem Weißen Saale, wo bald 
nach 11 Uhr die Gratulationsdefi— 
lbieredur beim Kaiser und der Kaiserin 
begann, während die Leibbatterie des 1. 
Garde⸗Feldartillerie-Regts. im Lustgarten 
Salut schoß. An die Cour schloß sich ein 
Empfang der Botschafter, sowie der 
Staatsminister, der kommandierenden Ge— 
nerale und der Admirale. 
Später begaben sich der Kaiser und die 
Prinzen nach dem Zeughaus, vom Pub— 
likum mit Hochrufen begrüßt. Vor dem 
Zeughaus stand eine Ehrenkompagnie 
des Alexander-Rgts. Im Zeughaus fand 
die Nagelung der neuen Fahnen 
des 3. Bataillons des 5. Hannoverschen 
Inf.Rgts. Nr. 165 und des 2. Ober— 
elsässischen Inf.“Regts. Nr. 171, sowie des 
2. Nassauischen Pionier-Bataillons Nr. 265 
statt. Nach der Paroleausgabe nahm der 
Kaiser militärische Meldungen und die 
Rapporte der Kommandeure der Leibregi— 
menter entgegen und nahm dann den Pa— 
Die Erbin von Glückshafen. 
Roman von Marie Bernhard. 
412. Fortsetzung. — — Nachdruck verboten. 
„Das lebende Bild studieren Sie und 
nicht den toten Marmor! Ja, ja, da möchte 
so mancher kommen! Die junge Dame, die 
dort geht — ich lernte sie gestern flüchtig 
kennen — ist das Meteor der ganzen Um— 
gegend, der Zankapfel aller Familien, das 
Kronjuwel von Lithauen, von dem ich Ihner 
gestern bereits erzählte, — die vielbeneidete, 
vielumworbene Erbin von Glückshafen!“ 
VI. 
Am Abend desselben Tages machte Josua 
Hartmuth seinem Freund und Nachbar, dem 
Oberst Ingermann, einen Besuch. Sein 
neuer Fabrikdirektor, Paul Ilgenstein, sa 
in seinem Arbeitszimmer über Kontobücherr 
und Verzeichnissen, die ihm der Prinzipal, 
auf seine Bitte, schon heute hatte vorleger 
müssen. — 
„Der Amerikaner“, sah sehr nachdenklich 
aus, — sein sonst rascher, elastischer Gang 
war sehr langsam, die Hand wühlte un 
ruhig in dem krausen, dunklen Kinnbart, 
ind die Stirn unter dem großen weißer 
hut war drohend gefaltet. — 
Als er die Veranda des Schlosses von 
Blückshafen zu Gesicht bekam, glättete sich/ „Ja, ich weiß es auch, Matuschka!“ rief 
ein Antlitz, wie durch Zauberschlag; seine diese munter. „Sie her, Väterchen, — Schach 
zrauen Augen glänzten jugendlich-froh auf, dem König!“ 
ils ein helles, frisches Mädchenlachen an Der Oberst fuhr mit verdutztem Gesicht 
ein Ohr schlug, und sein Schritt beschleunigte zurück, Wera aber warf sich mit lautem 
ich aufsallend. dachen hintenüber, so daß der Schaukelstuhl 
Die beweglichen Glaswände waren sämt. in heftige Bewegung geriet. 
ich auseinander geschoben, um der milden „Du Russenkind, Du Wettermädel! rie 
veichen Abendluft Zugang zu verschaffen; der Oberst in komischem Zorn. „Na ja, 
son allen Seiten blickten und nickten die natürlich machst Du mich wieder matt, — 
dletterrosen mit ihren weißen und rosigen ch gebe meine Sache auf, — die Schlach! 
Besichtchen aeugierig herein. — Frau Oberse st sür mich verloren. Und doch war ich 
Ingermann saß auf einem niedrigen, seit nal ein feiner Schachspieler, — da komm 
värts stehenden Divan mit einer Handarbeit der Josua, — der kann mir's bezeugen!“ 
die augenblicklich unbenutzt in ihrem Schooß „Sehr gern, Ferdinand! Guten Abend 
lag, — ihre Augen verfolgten mit großem neine Damen!“ 
Interesse jede Bewegung ihres Mannes, der Er verbeugte sich vor der Frau des Hauses 
in einem großen, bequemen Fauteuil mit und trat zu Wera, die ihm zunickte und 
purpurrotem Seidenbezug saß, das unver. HYm scherzhaft die Hand schüttelte, wie einem 
neidliche dampfende Pfeischen zwischen den guten Kameraden. — 
rꝛippen, und mit Wera Schach spielte. — „Mir kommt es vor, als kennte ich Sie 
Diefe selbst balancierte auf der äußersten chon seit lange“, sagte sie, auf den leeren 
Ecke eines amerikanischen rocking-chair und Sessel an ihrer Seite deutend. „Setzen Sie 
fah jetzt mit schelmischem Lachen in das sich hierher, — so, — und nun, bis Sascha 
Gesicht ihres Vaters empor. uns die bestellte Sakuska bringt, woller 
Das war, um mich gelinde auszudrücken wir ein Friedenspfeifchen rauchen. Bitte 
ein sehr unvorsichtiger Zug, Ferdinand“ Feuer, Papascha!“ 
sagte die korpulente Hausfrau strafend, „ich Der Oberst willfahrte bereitwillig, wäh 
weiß, was Wera jetzt tun wird!“ end seine Gattin resigniert seufzte, als
	        

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